FC St. Pauli |
09.12.2012, Millerntorstadion, 2. Liga |
Der FC St. Pauli hat mit einer ernüchternden Bilanz von sechs Punkten aus den ersten sieben Spielen
der Zweitligasaison 2012/13 zum altbewährten Mittel der Trainerentlassung gegriffen und Chefcoach
André Schubert beurlaubt. Nach einer weiteren Niederlage beim Jahn Regensburg wurde Michael Frontzeck
verpflichtet, was von vielen Anhängern des Clubs angesichts dessen Glücklosigkeit bei den letzten
Engagements mit Skepsis betrachtet wurde. Gezogen hat die Maßnahme aber doch, denn in den neuen Spielen
seither gab es immerhin 15 weitere Zähler, und man bewegt sich inzwischen in deutlich ruhigerem Fahrwasser.
Heute steht das Heimspiel gegen den FC Erzgebirge Aue an, dem man eigentlich gelassen entgegensehen
kann, was jedoch bei vielen St.-Pauli-Fans mit eher gemischten Gefühlen betrachtet wird. Der Gegner
wirkt zwar nicht gerade übermächtig, hat sich aber in den letzten Jahren zu einem echten Angstgegner
für die Kiezkicker entwickelt. Viele würden wohl behaupten, noch nie in der Liga gegen die "Veilchen"
gewonnen zu haben, was allerdings auch nicht ganz stimmt, aber der einzige Sieg zur wenig schmeichelhaften
Gesamtbilanz von 1-3-3 stammt aus der schon etwas zurückliegenden Spielzeit 2007/08 - heute steht der
seither fünfte Anlauf für die Hamburger auf dem Programm, diesen Erfolg zu wiederholen.
Der FC St. Pauli zeigt in der Partie, die auf einem schwer bespielbaren Platz stattfindet, der im letzten
Moment durch den Einsatz von 300 freiwilligen Schneeräumern aus der Fanszene bespielbar gemacht wurde,
sofort, daß man diesmal die Punkte zu behalten gedenkt und erzielt nach fünf Minuten um ein Haar den
Führungstreffer, aber Lennart Thy vermißt mit seinem Knaller aus wenigen Metern schließlich die Torhöhe
und das Leder prallt von der Latte zurück ins Spielfeld. Nach einigen kleineren Möglichkeiten wird es kurz vor
der Halbzeitpause noch einmal richtig eng, als Florian Kringe mit einem Torschuß knapp scheitert. Der FC
Erzgebirge kann also froh sein, das torlose Remis in den zweiten Abschnitt gerettet zu haben, aber vier
Minuten nach Wiederaufnahme des Spiels bekommt man durch einen unnötigen Kopfballfehlpaß der Hamburger die
Einladung, selbst in Führung zu gehen, die Jan Hochscheidt dankbar annimmt. Die Gastgeber zeigen sich kaum
geschockt, sondern blasen sofort zur Offensive und haben durchaus die eine oder andere Torchance, doch eine
Mischung aus Unvermögen, Pech und beachtlichen Paraden von Aue-Schlußmann Martin Männel sorgen dafür, daß
die "BSG Wismut" - der Name ist in der Fanszene der Gäste druchaus erhalten geblieben - vorne bleibt und
schließlich in der Schlußphase den entscheidenden Konter setzt, mit denen Jakub Sylvestr (76.) und der
eingewechselte Andreas Wiegel (82.) St. Pauli endgültig erlegen und dafür sorgen, daß die Hamburger
die Farbe Lila auch in Zukunft nicht ins Spektrum ihrer Lieblingsfarben aufnehmen dürften.
Auch St. Pauli und Aue beteiligen sich an den 12:12-Aktionen, mit denen heute am dritten Spieltag
in Folge vereinsübergreifend gegen den Entwurf eines "Sicherheitskonzeptes" protestiert wird, der
am kommenden Mittwoch den Vereinsvertretern bei der DFL zur Abstimmung vorgelegt werden wird. Nach
dem Ablauf der "Schweigeminuten" setzt der Support ein, wobei die Hamburger eine Fontäne aus weißen
Papierschlagen abschießen und man sich bei den Veilchen auf seine Stimmen und Farben verläßt. In der
zweiten Spielhälfte setzt bei den Hamburgern verständlicherweise etwas Frust ein, auch wenn man
weiterhin versucht, seine Mannschaft auf dem Platz angemessen zu unterstützen - spätestens nach dem
zweiten Gegentreffer ist halt klar, daß sich hier heute kaum noch etwas tun wird. Den Anhängern von Aue
versetzt die Entwicklung des Spiels dagegen einen Hitzeschock, man wähnt sich plötzlich auf Hawaii
und begeht den erwarteten(?) Dreier seines spielerischen Personals zum Spielende in beachtlicher Zahl
mit freiem Oberkörper und Fußball-Supporter-Hula-Hula auf dem Fangzaun.
Das Millerntorstadion befindet sich mitten im Umbau, wobei man bei den Hamburgern eine für die oberen
Ligen angemessene Spielstätte schaffen will, ohne sich finanziell zu ruinieren, denn schließlich hat
man in Form von Alemannia Aachen und dem MSV Duisburg warnende Beispiele dafür vor Augen, daß der
Pleitegeier gerne einmal auf den Auslegern von Baukränen nistet. Man will jeweils eine von vier Tribünen
neu bauen und den Spielbetrieb dabei durchgängig fortsetzen lassen, wobei momentan mit der Gegengerade
bzw. ihrer Renovierung der dritte Teilschritt des Umbaus kurz vor der Vollendung steht - mit etwa einem
halben Jahr Verzögerung gegenüber der ursprünglichen Planung. Danach kommt dann noch die Nordkurve an
die Reihen, die aktuell gegenüber der alten Version mit einer Stehtraverse durch eine darüber thronende
Stahlrohtribüne aufgepimpt ist. Ab der Rückrunde soll dann auch der Oberrang der Gegengerade wieder
nutzbar sein - den Unterrang hatte man während der Sommerpause so weit fertigstellen können, daß er direkt
wieder einsetzbar war. Errichtet wird die Anlage übrigens von der Dinslakener Hellmich Gruppe, man
wird bei den Kiezkickern hoffen, daß darin kein Omen liegt, denn das Unternehmen des früheren MSV-Vorsitzenden
Walter Hellmich hat auch für die Bauten in Duisburg und Aachen gebaut, die für die jeweiligen Hausherren
der Schritt in den Abgrund waren bzw. im Falle des MSV, der immerhin noch(?) keine Insolvenz anmelden
mußt, gewesen sein könnte.
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